Interview: Bist Du in der Investment-Matrix gefangen oder hast Du schon die rote Pille geschluckt?

Dieser Tage habe ich für die Alumni-Zeitschrift „Europolitan“ meines Studienganges ein Interview gegeben, nachdem ich gemeinsam mit der Redakteurin Katja den 25 Jahre alten Klassiker Matrix geschaut habe.

Europolitan/Katja: Wir schauen mal wieder einen Film – diesmal Matrix – ein Klassiker über die möglichen Auswirkungen von künstlicher Intelligenz.

Ja, der Film hat dieses Jahr das 25jährige Jubiläum und ich finde es faszinierend, wie aktuell er ist. Wir stecken mitten drin in der KI-Revolution. Die Diskussionen über die Vorzüge und Gefahren der KI nehmen hie und da schon fast religiöse Züge an und im Film findet sich das auch immer wieder. Zentral ist natürlich die Figur des Neo, der von den Rebellen rund um den Anführer „Morpheus“ als der „Auserwählte“ gesehen wird. Neo soll ganz besondere Kräfte haben, die ihm erlauben, die Macht der Matrix zu brechen, die durch Maschinen, also durch künstliche Intelligenz generiert wird. Der Film visualisiert genau die Ängste, denen wir auch heute begegnen: Eines Tages werden uns die Maschinen versklaven, um ihr eigenes Überleben zu sichern. Im Film tun sie dies, um die Energie der Menschen zu nutzen, nachdem die Menschen versucht haben, die KI abzuschalten, indem sie den Himmel verdunkeln. So sollten die Solarenergiequellen der Maschinen ausgeschaltet werden. Also für beide Seiten ein Kampf um Leben und Tod.

Europolitan/Katja: Markus – hast du dir, als du den Film das erstem Mal gesehen hast, so eine coole Sonnenbrille gekauft?  ( ich schon)

Nein, aber ich war absolut fasziniert von Trinity in ihrem futuristischen glänzenden Outfit. Dieses trägt sie ja immer nur, wenn sie als Figur in der Matrix operiert und aus meiner Sicht symbolisiert sie damit perfekt das Verführerische an der Matrix. Alles ist clean und perfekt. Alles ist easy und sorgenfrei. Die Maschinen haben die Matrix bewusst so konstruiert, dass sich die Menschen wohl darin fühlen und gar keinen Wunsch nach „Ausstieg“ verspüren. Ähnliches sehen wir in den Produktwelten von Apple mit dem Slogan „it just works“ oder in den vermeintlich kostenfreien Angeboten von Google, die einfach ein bequemes Leben mit Produkten wie der Google Suche, Maps und Pay ermöglichen. Es ist so bequem, dass wir gar nicht mehr daran denken, dass Google immer mitverdient, wenn wir beispielsweise ein Hotelzimmer buchen, das wir über die Google Suche gefunden haben. Google optimiert die Suche auch mit Daten aus Maps und Pay, damit die Algorithmen uns immer verführerische Angebote machen können. Es ist so bequem, dass wir da gar nicht mehr darauf verzichten wollen.

Europolitan/Katja: Der Film spielt in einer Zukunft, in der Computer die Macht übernommen haben – diese entscheiden und nutzen die Menschen nur noch als Energiequelle,  bis der Heilsbringer kommt,  um sie zu befreien. Ob das Neo ist, wird sich zeigen. Mir ist dabei aufgefallen, dass uns ja jetzt schon vieles als „einfacher“ verkauft wird,  und man selbst nicht mehr entscheiden muss,  nur noch passiv seine Fähigkeiten geben – egal ob bei Cryptofonds oder beim passiven Investieren.  Vor ein paar Jahren waren ja dann auch noch Roboadvisiors in. Wann sind deiner Meinung nach solche Konzepte sinnvoll und wann zum Scheitern verurteilt?

Die Verantwortung für die Verwaltung des eigenen Kapitals einfach abzugeben, ist natürlich sehr bequem. Die „Profis“ suggerieren uns: „Lass das mal uns für Dich erledigen. Wir machen Dich reich und glücklich.“. Die meisten kennen noch Begriffe wie „Vermögensverwaltung“, „Wealth Management“ oder „Private Banking“. Je nach Größe des Vermögens kommen recht standardisierte Lösungen zum Einsatz, die vollmundige Namen wie „Best Select Managers“ tragen oder es wird bei größeren Vermögen „der große Hof“ gemacht in edel dekorierten Räumen und angeblich ganz individuell zugeschnittene Verwaltungslösungen aufgesetzt. Die meisten dieser Lösungen profitieren von unserer Bequemlichkeit und Eitelkeit. Wir möchten Verwantwortung abgeben und fühlen uns gerne hofiert. Dafür bezahlen wir einen hohen Preis. Die meisten Verwaltungslösungen kosten 2% pro Jahr an Rendite und mehr. Fatalerweise liefern die meisten selbst nach Herausrechnung der Kosten schlechtere Rendite ab als der Vergleichsmaßstab des breiten Marktes. Die individuelle Auswahl von Aktien und anderen Wertpapieren und deren Gewichtung durch den Verwalter geht also regelmäßig schief. Das liegt gar nicht daran, dass die Profis nicht professionell wären, sondern am „menschlichen Setup“. Der Kunde erwartet für sein Geld „hellseherische Fähigkeiten“ vom Verwalter. Er soll vor dem Crash aussteigen. Das funktioniert natürlich nicht, denn der Verwalter hat Angst, dass er aus dem laufenden Markt zu früh aussteigt und unangenehme Fragen beantworten muss. Also steigt er erst mitten im Crash aus. Umgekehrt steigt er nicht mehr ein bevor sich die Märkte deutlich beruhigt haben, denn geht es nach einem Wiedereinstieg weiter runter, gibt es ebenfalls unangenehme Fragen des Kunden. Im Ergebnis nimmt der Verwalter mehr vom Abschwung mit, als er vom Aufschwung mitbekommt. Eine systematische Underperformance ist die Folge. Solche Zusammenhänge zu verstehen, sehe ich als eine Art, aus der Matrix des Investierens auszusteigen. Neulich hatte ich einen Fall, da habe ich genau diese Problematik bei Kunden der altvertrauten Hausbank des Vertrauens gesehen – wir kennen sie alle, die Sparkasse, Volksbank oder dergleichen vor Ort. Die Kunden wurden mit völlig überteuerten Fonds aus dem eigenen Haus versorgt, die in einer intransparenten Vermögensverwaltung mit deutlicher Underperformance geführt wurden. Hier habe ich „Morpheus“ gespielt und den Kunden die rote Pille angeboten. Sie haben sie angenommen. Das war unbequem aber am Ende sehr erfrischend. Wir haben alles neu mit sehr kostengünstigen und steuerminimierenden Lösungen aufgesetzt.

Europolitan/Katja: Kannst Du noch auf die Matrix beim passiven Investieren eingehen?

Das passive Investieren mit Indexfonds vermeidet zunächst einmal nur einen Großteil der Kosten. Manche Roboadvisors wollten das mit automatischen Modellen als „eierlegende Wollmilchsau“ in der Breite verkaufen. Die Idee: Die Maschine trifft rationalere Entscheidungen, die nicht von obigen menschlichen Dynamiken beeinflusst werden. Recht erfolgreich im Vertrieb war hier Scalable Capital. Ich liebe nach wie vor deren sehr unterhaltsam provokative Werbesprüche, die überall plakatiert wurden. Meine Favoriten: „Deine Villa geschehe, auch ohne Vater im Himmel“  oder „Wohin mit der Asche von Oma und Opa?“. Ich war dann überrascht, dass Scalable Capital die strategische Entscheidung getroffen hat, den Robodadvisor einzustellen. Ich habe vernommen, dass es daran lag, dass das Modell nicht so gut funktionierte wie erhofft bzw. dass es den Kunden schwer vermittelbar war, warum die Maschine bestimmte Entscheidungen getroffen hat – ganz besonders im Corona Crash und dem folgenden Aufschwung. SC hat sich jetzt auf das Brokerage fokussiert, also auf den kostengünstigen Handel. Zu diesem Themen haben wir im letzten Europolitan gesprochen. Im Prinzip finde ich das erfreulich, denn Scalable Capital ist damit aus dem gleichen unglücklichen Vermögensverwaltungsspiel ausgestiegen wie das klassische „Private Banking“. Es war zwar deutlich günstiger mit nur 0,9% Gebühr, aber das Grundproblem war das gleiche.

Aber zurück zum passiven Investieren: Auch hier kann es eine „Matrix“, also eine Art „Wahrnehmungs-Bubble“ geben, wenn der Indexfonds als der Heilsbringer gesehen wird, ohne kritisch zu hinterfragen. Viele Produkte sind auch hier schon wieder überteuert bzw. zu spezifisch auf Modethemen ausgerichtet. Unerfahrene Anleger fangen dann an, mit Indexfonds zu zocken, neuerdings sogar mit Crypto-ETF. Ganze Internetforen oder Social Media Kanäle drehen sich nur darum, welchen Trade man gerade zocken sollte. Der Ausstieg aus der Matrix läge hier in einer bewussten Betrachtung der eigenen Bedürfnisse und Investmenthorizonte, also ganz vereinfacht: „Wann brauche ich wieviel Geld?“ Im einfachsten Fall stelle ich mir dann drei Investmenttöpfe ein: Einen kurzfristigen mit Tagesgeldkonten oder Geldmarkt-ETF, die mir immerhin 1-3% pro Jahr bringen. Zum Zweiten ein mittelfristiger Topf z.B. für die Eigenkapitalbildung für die eigene Immobilie mit 3-5 Jahren Horizont und maximal 50% Aktienquote. Renditeerwartung 3-6%, mittlere Schwankungen. Schließlich ein langfristiger Topf für die Altersvorsorge oder den Generationenübergang, der zu 100% weltweit in Indexfonds streut. Renditeerwartung 6-8% mit typischen Aktienmarktschwankungen von 10-20%. Die Matrixausstieg liegt in der Bewusstmachung der eigenen Ziele. Und in dem Bewusstsein, welcher Anlagetopf mit welchen Renditen und Risiken einhergeht.

Europolitan/Katja: In dem Film ist es ja auch so, dass eine Macht einfach „weiß“, was gut ist – das ist mir beim erneuten Schauen extrem aufgefallen. Man kann sich natürlich leicht einlullen lassen – wie es wohl den meisten Menschen in der Matrix auch passiert.

Ja, und so vermeiden es leider viele Menschen, sich wesentliche Punkte für ihre Investmententscheidungen bewusst zu machen. Es wird einfach irgendwas gemacht, was der Vertrieb von Bank XY oder die Internetforen gerade heranschwemmen. Der Ausstieg aus der Matrix geht nicht ohne die Anstrengung einher, sich über grundlegende Prinzipien des Investierens zu informieren, sich die eigenen Bedürfnisse bewusst zu machen, um die Fristigkeiten planen zu können. Finanzplanung ist Lebensplanung. Und seine Gefühle muss man auch erforschen. Wie stark lasse ich mich von Gier und Angst treiben? Wieviel Risiko kann ich mir mittel- und langfristig zumuten? Mache ich das in einem Bankdepot mit App, die mir täglich das Auf und Ab präsentiert oder kaufe ich mir lieber eine Immobilie, deren Marktwert zwar genauso schwankt, jedoch ohne dass es ständig blinkend in einer App erscheint? Ein Mittelweg, den viele meiner Kunden schätzen, sind indexfondsbasierte Rentenversicherungen. Hier sieht man auch nicht ständig die Tagesschwankungen, was vielen dabei hilft, eher mit ruhiger Hand ein besonnenes, langfristiges Investment mit hohen Renditechancen zu verfolgen.

Europolitan/Katja: Was kann man tun, dass man sich beim Entscheiden – auch über Finanzfragen,  nicht so einlullen läßt?

Informieren, informieren, informieren. Lest gute unabhängige Portale wie finanztip.de oder sauber recherchierte youtube-Kanäle wie finanzfluss. Kauft Euch das „Stiftung Warentest Geldanlage-Set“. Vergleicht viele Angebote, lernt die Kosten- und Vertriebsstrukturen des Marktes kennen. Hinterfragt die Angebote und eure eigenen Entscheidungen. Gesteht Euch ein, wenn ihr einen Fehler gemacht habt und beendet ein schlechtes Produkt lieber mit Schrecken als einen Schrecken ohne Ende zu erleben.

Europolitan/Katja: Nun gibt es auch Bereiche, wo uns Statistiken und künstliche Intelligenz helfen – ich habe gerade in einem Podcast (Finanzwesir) gehört,  dass man KI nutzen kann (hier Perplexitity), um sich eine Übersicht über wesentliche Faktoren für eine Investmententscheidung zu verschaffen. Machst du das auch?

Perplexitiy habe ich noch nicht ausprobiert. Ein Kollege im Coworking ist aktiver Trader und hat davon geschwärmt, wie ihm die KI beim Analysieren von Charts und Trends hilft. Ich selbst bleibe bei der ganz simplen Dreitopf-Strategie auf Indexfondsbasis und optimiere einen Großteil durch Versicherungsmäntel, die die laufende Besteuerung vermeiden. Es kann so simpel sein, dass es keine KI braucht, um das sauber aufzusetzen.

Europolitan/Katja: Klar – und nun die letzte Frage – wer verdient am Ende?   Oder besser – wie stellt man sicher, dass man nicht scheitert und nur als „Energiequelle“ genutzt wird? Keine Aktiven Fonds kaufen? Hebelprdukte?

Genau, keep it simple. Keine teuren strukturierten Produkte kaufen, die sich einfach zu gut und verführerisch anhören. Das Versprechen vom schnellen Reichtum führt meistens in den Totalverlust. Aktive Fonds können aus guten Häusern hie und da eine Ergänzung, sogenannte Satelliten sein, z.B. für die Auswahl von SmallCaps (Unternehmen mit geringer Börsenkapitalisierung). Den großen Kern des Investments sollte man aber nicht an teure, aktiv gemanagte Fonds geben. Die langfristigen Statistiken haben die eingangs geschilderte Problematik einfach zu klar dokumentiert. Warum sollte ich für wahrscheinliche Underperformance noch Geld bezahlen? Besser ist, etwas Zeit in den eigenen Ausstieg aus der Matrix zu investieren und sich aufzuschlauen. Im einfachsten Fall setzt Du bei einem günstigen Onlinebroker drei Depots auf, um die drei Töpfe oben abzubilden. Alle paar Jahre machst Du Dir Gedanken, ob das alles noch so für Dich passt mit der Aufstellung und Lebensplanung. Dann triffst Du bewusste Entscheidungen statt Dich einer KI hinzugeben.